Keine Peepshow für Alice
Der November auf Südtirols Bühnen

Grau und regnerisch, so stellt man sich den November meist vor. Aber zum Glück gibt es zahlreiche Theaterschaffende, die mit einer guten Portion Talent die Tristesse in Vorfreude verwandeln. Den Anfang macht ein Fixtermin, auf den alle sehnsüchtig warten. Die Rede ist vom…
…23. Europäischen Kleinkunstwettbewerb „Niederstätter surPrize“ in der Bozner Carambolage (05.-07.11.). Diesmal dreht sich alles um Objekte – Gläser, Eimer, Schneebesen u.v.m. –, mit denen sich Klänge erzeugen lassen oder kleine Kunststücke vollbringen. Drei außergewöhnliche Darbietungen stehen an: das Percussion-Duo Bubble Beatz (CH), Clown Fabrizio Rosselli (I/F) und das Zirkusduo OLO Company (SE/FI). Wer welchen Platz auf dem Siegertreppchen erhält, bestimmt allein das Publikum. Im Anschluss ist der Niederländer Rafael Scholten mit „Wunderbare Kuriositäten“ zu Gast (14.-15.11.). Der preisgekrönte Magier geht der Frage nach, warum die Menschen unbedingt an die Zauberkunst glauben wollen. Mit seiner Sammlung an curiositas lässt er das Publikum in eine Welt zwischen Illusion und Wirklichkeit eintauchen. Nach einem Intermezzo mit dem Improtheater (18.11.) erwartet Sie dann das bekannteste Autoren-Ehepaar der Schweiz: Schreiber vs. Schneider mit „Paarcours d’amour“ (20.-21.11.). In ihren Kultkolumnen nehmen sie den Beziehungsalltag unter die Lupe, denn nach Jahrzehnten des Zusammenlebens gibt es einiges zu berichten über Hürden und Wassergräben, Bauchlandungen und Seitenstechen. Authentisch dribbeln sie sich durch die Tücken der Zweisamkeit und sind damit „Seismographen der Alltagsbeben“ (Schweizer Illustrierte).
Gar nicht besinnlich ist das Stadttheater Bruneck mit der Eigenproduktion „Heilig Abend“ nach Daniel Kehlmann (ab 07.11., Regie: Patrick Steinwidder). 24. Dezember um 22:30 Uhr. Thomas verhört Judith, eine Uni-Professorin für Philosophie, und behauptet, sie plane für Mitternacht einen politischen Anschlag. Noch könnte die Tat verhindert werden, doch Judith streitet alles ab. Die Uhr tickt. Gibt es wirklich eine Bombe? Kehlmann entwirft ein Duell der Ideen, in dem die Grenzen dessen verwischen, was wir sicher zu wissen glauben. Wer folgt hier welcher Ideologie? Wer verhört hier wen? Wer spioniert wen aus? Nervenaufreibend und hochpolitisch – mit Christine Lasta und Thomas Hochkofler.
Um Macht geht es bei den Vereinigten Bühnen Bozen, die bis 9. November „König Lear“ von Shakespeare in der Übersetzung von Kiki Miru Miroslava Svolikova zum Besten geben. Es folgt das Familienstück „Alice im Wunderland“ nach Lewis Caroll in der Fassung von Peter Siefert (ab 22.11.). Oh, ein weißes Kaninchen mit Taschenuhr! Alice rennt ihm hinterher und fällt durch seinen Bau tief hinab in eine sonderbare Welt, wo alles verrückt und verdreht ist. Auch Alice selbst wächst und schrumpft, bis sie gar nicht mehr weiß, wer sie ist und wohin sie will. Sie trifft eine grinsende Katze und einen verrückten Hutmacher, der mit seinen Freunden exzessive Nicht-Geburtstage feiert. Und als sie endlich den schönen Garten der Herzkönigin findet, beginnt ein absurdes Krocketspiel – genauso absurd, wie die Königin selbst. Da hilft nur noch aufwachen! 1865 veröffentlicht, zählt „Alice im Wunderland“ heute zu den bedeutendsten Werken der englischen Literatur. Die preisgekrönte Regisseurin Fanny Brunner inszeniert damit zum ersten Mal bei den VBB.
Das Südtiroler Kulturinstitut holt die „Schachnovelle“ von Stefan Zweig ins Land (19.-20.11., Waltherhaus Bozen). Auf einem Dampfer von New York nach Buenos Aires wird Schach gespielt – nicht nur so, denn der Weltmeister höchstpersönlich lässt sich von den anderen Passagieren herausfordern. Für ihn läuft es erwartungsgemäß gut, bis ein unglaublich talentierter Fahrgast auftaucht… Zweig schrieb das Werk 1942 im brasilianischen Exil. Einen Tag, nachdem er das Skript zur Post gebracht hatte, begingen er und seine Frau Suizid. Die Novelle ist eine schmerzliche Erinnerung an die verlorene Heimat, eine Geschichte über Besessenheit und Widerstand, Macht und Ohnmacht. Nils Strunk und Lukas Schrenk verwandeln sie in eine Solo-Performance mit Live-Musik, die meist minutenlange Standing Ovations erntet. Ein ebenfalls starkes Schauspiel ist „Oleanna. Ein Machtspiel“ (25.11. Kulturhaus Schlanders, 26.11. Forum Brixen, 27.11. Stadttheater Meran). Uni-Professor John steht kurz vor einer Beförderung. Seine Studentin Carol hat Angst vor der anstehenden Prüfung, John will sie beruhigen, doch eine beiläufige Geste wird ihm zum Verhängnis. War es ein sexueller Übergriff oder will Carol damit etwas erreichen? Uraufgeführt 1993 nahm das Stück prophetisch vorweg, was passiert, wenn das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zu einer Frage der Macht wird.
„In drei Tagen bist du Frustbuchtl. Oder: Sag ja zu Südtirol“, so nennt sich die Komödie von Dietmar Gamper nach dem beliebten Kabarett ,,Drei Schaßtrommeln für Südtirol“ im Theater in der Altstadt Meran (ab 14.11.). Christa und Margit, beide Österreicherinnen, haben ihr halbes Leben in Südtirol verbracht, wurden gar Spargelkönigin und E-Mountainbike-Guide. Aber haben sie sich wirklich integrieren können in das Land des oberflächlichen Lächelns? Ein Wiener Beamter und ausgewiesener Südtirol-Experte will dies in einer „Integrationsshow“ prüfen, um zu entschieden, welche der beiden bleiben darf. Eine tragikomische Show über Identität, Anpassung und Individualität.
Provokant ist die Dekadenz in Brixen, aber nicht so, wie anfänglich vermutet. „Sex.Work – Das ist keine Peep Show“ ist nämlich nichts Voyeuristisches, sondern spricht offen über Sexarbeit (ab 07.11.). Ist es Freiheit oder Ausbeutung? Emanzipation oder Erniedrigung? Drei Frauen stürzen sich zwischen Poledance und Stammtischparolen ins Milieu. Es wird gegoogelt, gelacht und gestritten, denn wenn es um Sexarbeit geht, haben alle eine Meinung. Aber wer hat wirklich Erfahrung? Das Stück demaskiert die vorherrschende Doppelmoral und tastet sich mit Witz und Wut an etwas heran, das gern verdrängt wird. Kein Mitleidsdrama und keine moralische Belehrung, sondern ein kluger und überraschend witziger Theaterabend. Mit zwei Frauen geht es weiter: das Flirty Horse Art Collective zeigt nämlich „Die Düntzer Rhapsodie“ (29.-30.11.). Düntz ist ein fiktives Kaff mit engstirnigen Ansichten. Als Martha deshalb nach Wien zieht, sorgt das für einen Skandal. Zurück bleiben Claudia, heimlich in Martha verliebt, und ihre Schwester Daniela. Zwischen Landidylle und Großstadtträumen entspinnt sich eine schräge Story über Liebe, Freiheit und die Kluft zwischen Stadt und Dorf. Irgendwo zwischen Satire, Theater und Musik – von Volkslied bis Oper, schräg, witzig, live.
[Adina Guarnieri]
















































































































































































