Bertolt Brecht trifft Sartre
Was der Mai auf Südtirols Bühnen bietet
Wir gehen langsam aber sicher in Richtung Sommer. Bevor aber die Theater des Landes in die wohlverdiente Sommerpause gehen, geben sie nochmal richtig Gas mit Musicals, Dramen und Satire. Lesen Sie hier, was, wann, wo zu sehen ist.
Das Südtiroler Kulturinstitut zeigt den Klassiker Die Dreigroschenoper (06.-08.05. Waltherhaus Bozen). Mitte der 1920er lernte Brecht Elisabeth Hauptmann kennen, die ihn auf John Gays „Beggar’s Opera“ aufmerksam machte. Sie übersetzten das Stück, das seit der Uraufführung 1928 ein Hit ist. Es geht um zwei zwielichtige Geschäftsleute: der eine ist der Bettler-König Peachum, der andere der Einbrecher-König Mackie Messer. Als dieser sich für Peachums Tochter interessiert, ist Feuer am Dach. In Bozen setzt das Musical auf Broadway-Glamour mit einem spielfreudigen Ensemble und Orchester.
Dramatisch wird’s hingegen im Stadttheater Bruneck mit Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre (ab 10.05.). Drei sich unbekannte Personen, zwei Frauen und ein Mann, kommen nach ihrem Tod in einem schäbigen Hotelzimmer zusammen, und zwar für alle Ewigkeit. Ohne Fenster und mit ständigem Neonlicht. Das Dreigespann will sich in einem Machtspiel wechselseitig beherrschen, scheitert aber kläglich beim Versuch. Es ist eine Hölle der Selbsttäuschung und Unaufrichtigkeit, in der jeder zugleich Peiniger und Gepeinigter ist.
Neue Literatur zeigen die Vereinigten Bühnen Bozen, wo Ein Hund kam in die Küche nach dem Erfolgsroman von Sepp Mall zu sehen ist (ab 03.05.). Erzählt wird die Geschichte des kleinen Ludi, dessen Familie im Zuge der Option 1943 ins Deutsche Reich auswandert. Sein Bruder Hanno ist körperlich und geistig beeinträchtigt und kommt in Innsbruck in eine Pflegeanstalt. Eines Tages erhält die Familie einen Brief: Hanno sei an einer Lungenentzündung gestorben. Aus der Perspektive eines Kindes blickt Mall auf historische Ereignisse. Eine Geschichte über Heimatsuche, Abschied und das Finden von etwas Neuem.
Biografisch startet die Carambolage in Bozen in den Mai: Die Turing-Maschine von Benoit Solès ist der Versuch einer Annäherung an den Vater der modernen Computertechnik (ab 09.05.). Der britische Forscher Alan Turing gilt als einer der bahnbrechendsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Urvater des Computers und der künstlichen Intelligenz, entwickelte er im Zweiten Weltkrieg einen Apparat, der den Enigma-Code der Nazis dechiffrierte, was den Alliierten den entscheidenden Vorteil verschaffte. Aufgrund seiner Homosexualität wurde er aber nicht gefeiert, sondern zu einer Hormonbehandlung gezwungen. Es kam zum Suizid mit nur 42 Jahren. Ein Genie, das den Zwängen seiner Zeit zum Opfer fiel.
In der Brixner Dekadenz steht Viel Gut Essen auf dem Programm (24.-25.05.). Wut, Witz und Wahnsinn: das passiert, wenn ein moderner Jedermann kocht und dabei seinen Frust über die Welt raushaut. Homo-Ehe, Migration, Feminismus; das ist nichts für ihn, der gutbürgerlich lebt und sich dennoch als Verlierer fühlt. Er schimpft, begleitet von einem Männerchor, der „Volkes Stimme“ immer bedrohlicher erhebt: scham- und schonungslos, zynisch, provokant. Zuletzt kommen wir zu Es kann doch nur besser werden, in dem Sibylle Berg drei Südtirolerinnen in einer bissigen Zukunftsvision porträtiert (28.05.). Wir haben Überwachungskameras, verschenken unsere Daten und bestellen nachhaltige Snacks online. Dass es nur noch besser werden könne, sagte man früher. Doch die KI hat andere Pläne. Für sie wird’s erst besser, wenn die Menschen verschwinden und die Erde endlich durchatmen kann. Ein irrwitziges Theatererlebnis, das zum Lachen und Grübeln einlädt.
[Adina Guarnieri]