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Was soll ich lieben, wenn nicht das Rätsel? (Arthur C. Danto) In seinem gesamten künstlerischen Werdegang wollte Giovanni Castell – ob er sich nun mehr dem Figürlichen zuwandte oder Phasen durchlief, in denen das Bild immer weniger „greifbar“ wurde und sich einer Erklärbarkeit zunehmend entzog – seine Umwelt immer mit forschendem Auge beobachten und folglich ihre bestehende Dimension interpretieren. "In meinen Augen hat die Fotografie die Realität nach und nach getötet. Sie hat sie verschwinden lassen. Bevor wir eine Landschaft real erfahren, haben wir sie schon auf Fotos gesehen. Das bewusste Sehen ist uns verloren gegangen. Auch verliert in einer Zeit, in der wir täglich von tausenden digitalen Bildern bombardiert werden, die morgen schon wieder vergessen sind, das einzelne fotografische Bild an Bedeutung. Der Zauber der Fotografie ist vorbei. Ich möchte weiterkommen, eine neue technische wie künstlerische Dimension erreichen". Mit diesen Worten legt Giovanni Castell perfekt seine Anschauung und die Richtung seiner Suche dar, die über die „simple“ Fotografie hinausgeht und sich der digitalen Bearbeitung und der digitalen Malerei bedient. Dabei verbindet er malerische und fotografische Prozesse, archaische und zeitgenössische Werkstoffe und verleiht so einer Gegenwartskunst Form, die die Vergangenheit nicht vergisst und auf ein anderes Morgen hofft. Die Farbe wird, wie wir unterstrichen haben, zusammen mit der Materie zu einer Szenendarstellerin; sie erscheint und zeigt sich dem Auge des Rezipienten ganz bewusst mehr als Malerei denn als fotografisches Element. Ein Verweis auf Mark Rothko und ein Zeugnis unausweichlicher Bewunderung für ihn, deutlich gemacht durch die Verteilung der Farbe mit horizontalen „fotografischen Pinselstrichen“, die Castell auf die Oberfläche aufträgt, wobei er faszinierende Wirkungen erzielt, die auf der Durchdringung von Farbe, Raum und Materie beruhen. Linien und horizontale Streifen in verschiedenen Farben, die sich in unzähligen Varianten spielerisch durchdringen, die in ihrem Bestehen nicht definiert sind, sondern zerfließen und eine unbestimmte, fluktuierende Wirkung erzeugen. Die Farbtonbereiche breiten und dehnen sich aus und rufen ein Gefühl des Vorrückens und dann des Zurückweichens hervor. Die menschliche Gestalt hat sich entfernt, hat die Bühne verlassen und überlässt das Feld der Farbe (Farbfeld) und der Lumineszenz, die sich artikulieren und dabei das Aussehen ewiger Theophanien annehmen, in denen Stille und Meditation entscheidend werden. Ein weiteres Werk, in dem die Stille, das Versenken und die Spiritualität ebenso wesentlich sind, jenes von Giorgio Morandi, der mit seinen Stillleben die Zeit in der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt angehalten zu haben scheint. Flaschen, Tassen, Vasen, Karaffen werden auch von Castell ins Spiel gebracht, zwischen den Texturen seiner Farbfelder, die durch das Harz wie verschwommene, unscharfe Bilder erscheinen, so wie es bei fernen Erinnerungen der Fall ist, die längst ihre Schärfe verloren haben. Weit zurückliegende Erinnerungen, personifiziert durch zeitlose Gegenstände, die aber den unschätzbaren Wert von etwas annehmen, was Thomas Eliot und dann Eugenio Montale im objektiven Korrelat gefunden haben: Ereignisse, Zustände oder, wie in diesem Fall, Gegenstände, die den Zweck haben, eine klare und besondere Gemütsregung anzudeuten und hervorzurufen. Wenn Nietzsche behauptet, nichts ist Kunst, es sei denn, man trotzt der rationalen Erklärung und es sei denn, dass uns ihre Bedeutung irgendwie entgeht, können wir ohne Zögern bekräftigen, dass der kreative Ausdruck Giovanni Castells genau in diese Richtung geht. Mit seiner Kunst versucht er nämlich, den Zustand der Ungewissheit, den man erlebt, während man träumt, wiederzugeben und somit sichtbar zu machen. Alberto Mattia Martini