Das Museion Passeier widmet sich hauptsächlich der Geschichte des Tiroler Volkshelden Andreas Hofer. Derzeit geht es in einer Sonderausstellung einer anderen dramatischen Geschichte nach: Den Kunstschätzen aus Florenz, die während des 2. Weltkrieges im ehemaligen Gefängnis von St. Leonhard untergebracht waren.
Die Geschichte ist dramatisch und war bis vor kurzem kaum jemand bekannt. Hunderte Kunstwerke von unermesslichem Wert aus den Uffizien, dem Palazzo Pitti und anderen florentinischen Museen, insgesamt etwa 600 Kunstwerke, wurden während des 2. Weltkrieges aus der Toskana nach Südtirol verfrachtet. Gemälde von Botticelli, Caravaggio, Rubens, Tizian, Cranach, Rembrandt und Skulpturen von Michelangelo und Donatello waren in St. Leonhard in Passeier und im Ansitz Neumelans in Sand in Taufers verwahrt. Es klingt paradox, aber nie gab es in Südtirol mehr und bedeutendere Kunstwerke als in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges.
Wie waren Hunderte von Meisterwerken aus Florenz nach Südtirol gelangt? Warum wurden zwei Dörfer in Südtiroler Seitentälern, St. Leonhard in Passeier und Sand in Taufers, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges zum Aufbewahrungsort für unschätzbare Kunstwerke, die zum kulturellen Erbe der Menschheit gehören?
Die Geschichte ist nicht so spektakulär wie die Rettung der 6.500 Kunstwerke, die von den Nazis in dem österreichischen Salzbergwerk Altaussee eingelagert und von Bergarbeitern vor der Vernichtung gerettet wurden - George Clooney hat die Geschichte in seinem Film „Monuments Men“ hollywoodtauglich verfilmt - sie ist aber mehr als nur eine Fußnote in der Geschichte des systematischen Kunstraubs beispiellosen Ausmaßes durch die Nationalsozialisten.
37 LKW-Ladungen mit etwa 600 Kunstwerken hohen und höchstens Ranges wurden in der Zeit vom 8. August bis 9. September 1944 vom Kunstschutz aus Florenz nach Südtirol verfrachtet. Als geeigneter Unterbringungsort wurde zunächst die Bunkeranlage Ochsenkopf bei Mühlbach auserkoren, doch die Eingänge zum Bunker erwiesen sich als zu klein und der Bunker als „zu feucht und explosionsgefährdet“. Der von Gauleiter Hofer beauftragte kommissarische Denkmalpfleger Josef Ringler macht sich daraufhin mit Reidemeister auf die Suche nach anderen Depots. Fündig wurden sie im leerstehenden Gefängnis von St. Leonhard im Passeiertal und auf Schloß Neumelans in Sand in Taufers.
Die Bilder waren aufgrund der wilden Evakuierung teils beschädigt, sie waren auf Stroh gelagert und mit Wolldecken zugedeckt, einige wiesen Risse oder Schimmelflecken auf.
Generaldirektor Carlo Anti, der von der faschistischen Regierung mit der Überwachung der ausgelagerten Kunstschätze beauftragt wurde, durfte die Depots erst November 1944 besichtigen. In seinem Tagebuch schreibt er: „Trotz allen Eifers und der unbestrittenen Loyalität der deutschen Kollegen, halte ich unsere Kunstschätze in dem von Hofer kontrollierten Gebiet für alles andere als sicher.“ Nach seinem Besuch im Passeiertal am 28. November vermerkt er in seinem Tagebuch: „Mir scheint, dass das ganze Dorf aufgeregt ist wegen der Ehre und Verantwortung, die es trifft. (...) Die Werke, alle ohne Verpackung (...) sind auf wundersame Weise unversehrt eingetroffen; es ist schon ein trauriges Gefühl hier (...) die Venus von Lorenzo Credi oder den Scherz des Landpfarrers Arlotto zu sehen.“ Tags darauf besucht er das Depot in Sand in Taufers und notiert in seinem Tagebuch: „Mir schnürt es die Kehle zu angesichts so vieler Schönheit im Exil“. Am 6. Mai 1945 erreichten die ersten amerikanischen Einheiten Sand in Taufers, am 9. Mai schließlich auch St. Leonhard in Passeier. Zweieinhalb Monate später kehren die Florentiner Kunstschätze in ihre Heimat zurück.
Was bezweckte der Abtransport der Uffizien-Kunstschätze nach Südtirol? Für den deutschen Historiker Lutz Klinkhammer gab es dafür zwei Gründe. Erstens: Die Verlagerung der Kunstwerke war aus militärischen Gründen durchaus sinnvoll, um sie möglichst weit von der Front und Gefährdung durch Artilleriebeschuß und Kampfhandlungen zu entfernen. Zweitens: Südtirol gehörte zwar zu Italien, doch die italienische Regierung hatte in der von Gauleiter Franz Hofer verwalteten „Operationszone Alpenvorland“ de facto keine Einfluss. Hofer wollte die Kunstwerke denn auch sofort nach Österreich weiterleiten, wurde jedoch von SS-Obergruppenführer Wolf, Reidemeister und dem Chef des Kunstschutzes Alexander Langsdorff daran gehindert.
Waren die Depots in Sand in Taufers und St. Leonhard nur Zwischenspeicher des organisierten Kunstraubs im Auftrag von Nazi-Größen oder waren die Aktivitäten des „Kunstschutzes“ Rettungsmaßnahmen für die unermesslichen Kunstschätze und Kulturgüter Italiens? Mit anderen Worten: War es Kunstschutz oder war es als Kunstschutz getarnter Kunstraub?
Die in anderer Form bereits in der Bozner Galerie foto-forum gezeigte Ausstellung mit Fotomaterial aus dem National Archiv in Washington und anderen Quellen arbeitet eine spannende welthistorische Geschichte auf, in der ein kleines Dorf in Passeier eine gewichtige Rolle spielte. [H.S.]
DIE AUSTELLUNG
Uffizi in Passeier
WO: MuseumPasseier
Passeirerstr. 72
St. Leonhard in Passeier
DAUER: bis 02.11.2018
von 15.03. bis 30.10.2019
INFO:
www.museum.passeier.it
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!