Andreas Hapkemeyer, von 2000 bis 2006 Leiter des Museion, derzeit ebendort verantwortlich für Forschung und Kunstvermittlung, ist ein profunder Kenner der Südtiroler Museumsszene. Welche Chancen und welcher Herausforderungen kommen auf die Museen zu?
Herr Hapkemeyer, jüngst hat Chris Dercon im Museion über die zukünftige Rolle von Kulturinstitutionen und Kuratoren gesprochen. Mit welchem Erkenntnisgewinn für Sie?
Dercon vertritt die Position, dass private Kunstsammlungen und Museen im Gegensatz zu öffentlichen Institutionen wesentlich mehr Mittel haben; aber dass sie auch wesentlich instabiler sind. Er sieht die Zukunft in einer Kooperation von öffentlichen und privaten Institutionen. Die privaten bringen zusätzliche Mittel, die öffentlichen die Verpflichtung zu einem objektiveren und kritischeren Blick. Dercons kritische Sicht auf die privaten Institutionen hat mich überrascht, ist aber nachvollziehbar. Jörg Heiser, unser nächster artiparlando-Referent, wird am 13. Dezember über die heute z.T. intensive Kritik an Kuratoren sprechen.
Kuratoren alten Schlages sorgten sich um sachgemäße Hängung und Pflege der Bilder. Mittlerweile sehen viele Kuratoren sich selbst als Künstler. Tut das der Kunst gut?
Es gibt jüngere Kuratoren, die keine so strikte Trennung mehr machen zwischen Künstler und Kurator bzw. anderen am Kunstsystem Beteiligten. Ich erinnere an die chinesische Kuratorin Carol Yinghua Lu und ihren Partner, den Künstler Liu Ding, die nur graduelle Unterschiede zwischen ihren Aktivitäten sehen. Man kann den Kurator als Meta-Künstler sehen, der neues erkennen lässt. Aber er darf sich nicht vor oder über die Kunst der Künstler und Künstlerinnen stellen.
Im Museion sind Sie in der Kunstvermittlung tätig. Was wollen die Besucher über Kunst wissen?
Meiner Meinung nach ist der Paradigmenwandel, der um 1900 erfolgt ist, also der Übergang zur Moderne, wie ihn beispielsweise Picasso, Kandinsky oder Marinetti vollziehen, nach wie vor das Hauptproblem. In Formaten wie „ABC“ und „Im Kontext“ versuchen ich mit Besuchern, Fragen der Kunstgeschichte zu besprechen, die noch heute aktuell sind. Da gibt es Interesse und das funktioniert eigentlich gut. Das Museum hat darüber hinaus eine sehr gut aufgestellte Vermittlungsabteilung, die sich diesen Fragen in großem Stil mit den Schulen und Erwachsenengruppen stellt.
Sie sind ein profunder Kenner der Südtiroler Museumsszene. Wie vielfältig ist sie wirklich und was fehlt ihr noch?
Ja, in Südtirol gibt es tatsächlich sehr viele Museen. Das Problem ist meistens nicht das Errichten einer Institution, sondern ihre adäquate Erhaltung und Führung. Bevor man daran geht, weitere zu errichten, sollte man die absichern, die es gibt, denke ich.
Gibt es nie genug Museen, oder ist bald ein Sättigungsgrad erreicht?
Manche sagen, je mehr desto besser, da wir dann eine größere Auswahl haben. Ich denke, es gäbe genug Museen, das immer größere Angebot droht Unübersichtlichkeit und Beliebigkeit zu schaffen. Letzten Endes ist die entscheidende Frage: Was bringt eine neue Perspektive? Was ist wichtig? Was brauche ich, was nicht? Manchmal liegt mehr Kultur darin, mit seiner Familie gemeinsam zu Abend zu essen, als in eine Kulturveranstaltung zu gehen.
Durch ihre Sammlungs-, Vermittlungs- und Forschungstätigkeit sind Museen Horte der Beständigkeit in einer täglich wachsenden Bilderflut. Welche Aufgaben haben die Museen in einer beschleunigten, vernetzten, globalisierten Welt?
Die Arbeit an Museumsbeständen bewirkt eine Entschleunigung, mit der auch ein genauerer Blick einhergeht. Man hat die Möglichkeit, Zusammenhänge herzustellen, was natürlich dadurch erleichtert wird, dass Bestände, die ein paar Jahrzehnte alt oder älter sind, auch schon eine kunsthistorische Einordnung erfahren haben. Die Distanz zum Markt ist wesentlich größer als bei der zeitgenössischen Kunst. Gleichzeitig ist der Grad an Aktualität geringer, sind die Namen weniger sensationell.
Manche behauptet, die Zukunft der Museen wird in absehbarer Zeit eine digitale sein. Glauben Sie das auch und wie soll man sich das vorstellen?
Die Präsenz von Museen in den social media ist heute sehr wichtig: viele wissen dadurch von einem Museum und seinen Aktivitäten, obwohl sie es noch nicht besucht haben. Darüber hinaus sind Museen natürlich Orte, an denen man Originale sehen kann. Originale, die an einem bestimmten Ort nach bestimmten Kriterien zusammengetragen worden sind. Diese Kriterien erfahren Veränderungen je nach Direktion. Natürlich ist das In-Frage-Stellen des Originals und der Figur der Künstlers ein ganz wichtiger Aspekt der neueren Kunst. Aber auch die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt erfolgt immer noch am besten in einem realen Raum, eben dem Museum. [H.S.]
Zur Person
Andreas Hapkemeyer (geb. Osnabrück, 23. August 1955) ist Germanist, Kunsthistoriker und Museumsexperte. Nach einer Assistenzzeit ab 1988 war er von 2000 bis 2006 Leiter des Museion, wo seit 2010 verantwortlich für Forschung/Lehre ist.