Die Südtiroler Regisseurin Martine De Biasi über ihren neuen Film „Becoming me“, Feminismus und ihre Angst vor dem politischen Rechtsruck in Europa.
In “Becoming me” begleitest du Marion Oberhofer, einen transsexuellen Menschen, in ihr neues Leben als Marian. Von wem ging die Idee für diesen Film aus?
Eigentlich von mir; ich habe Dokumentarfilm an der Filmschule Zelig studiert. Er hat mir damals gesagt, er sei eigentlich ein Mann; das war für mich unfassbar, Marion war schließlich meine erste große Liebe! Dass ein Mensch, den ich als Frau im Kopf hab, ein Mann sein sollte, war für mich unvorstellbar, und ich hätte nie gedacht, dass ich so stark darauf reagiere. Ich habe sie dann gefragt, ob ich sie filmen und begleiten kann. Sie war einverstanden. Das war vor acht Jahren, jetzt sind wir dabei, den Film fertigzustellen. Ende November sollte der Bildschnitt fertig sein, dann müssen noch Color Correction erledigt und Ton und Musik eingefügt werden; im Februar sollte alles unter Dach und Fach sein.
Für Marian war das sicher eine harte Zeit?
Ich weiß nicht, inwieweit ich für ihn sprechen kann; aber die Sache war für ihn nicht leicht; er ist sehr in der Südtiroler Kultur verwurzelt, und er hatte Angst, Familienmitglieder oder geliebte Menschen zu verlieren. Aber zum Glück ist alles gut gegangen.
Wie geht’s Marian heute?
Ihm geht’s super. Es war sicher die richtige Entscheidung.
Was macht deiner Meinung so ein Prozess mit einem Menschen? Haben die ständige Auseinandersetzung mit sich selbst und die Angst vor Ausgrenzung Folgen?
Ich kann nicht für transsexuelle oder transgender Menschen sprechen, ich habe das selber nicht erlebt. Aber für mich als lesbische Frau war es so, dass man vor allem am Anfang Angst hat, dass die Leute das nicht verstehen, und dass man ausgegrenzt wird; als ich vor 25 Jahren drauf kam, waren die Zeiten andere. Ob eine solche Erfahrung einen Menschen besonders sensibel oder hart macht, hängt wahrscheinlich vom Charakter ab. Man wird auf jeden Fall empfindlich gegenüber Vorurteilen in der Gesellschaft. Aber wie gesagt, ich kann für einen transsexuellen Menschen nicht sprechen.
Hat dir Marian gesagt, zu welchem Zeitpunkt er sich angekommen gefühlt hat?
Der Beginn des Bartwuchses war für ihn ein sehr wichtiger Moment. Für Marian war nämlich sein Aussehen ein Problem, die Umwelt nahm ihn als Frau wahr. Die OPs haben ihm sehr geholfen, vor allem die Brustentfernung. Ich glaube, danach hatte er das Gefühl, angekommen zu sein.
Wo wird man den Film sehen können?
Ich denke, zur Zeit gibt es Gespräche, ihn im Rai Sender Bozen zu zeigen. Es ist aber eigentlich ein Kinofilm, und wir hoffen, dass weitere Sender einsteigen.
Wie lange dauert der Film?
Zur Zeit haben wir Material für vier Stunden, und wir müssen erst entscheiden, was rauskommt, und was blieben soll. Am Ende wird er ca. 90 Minuten dauern.
Welche Themen bewegen dich sonst?
Alles was mit Normalität zu tun hat; der Begriff nervt mich, denn es gibt ihn nicht. Meiner Meinung nach ist die Idee von Normalität falsch. Sie zwängt Menschen in Boxen, in die sie generell nicht hineinpassen. Egal ob Mann, Frau, mittendrin, lesbisch oder Migrant. Ansonsten interessiert mich der Queer-Feminismus; es geht hier um die Vielfalt und das Recht jedes einzelnen so zu sein, wie er eben ist. Und generell darum, dass Frauen die gleichen Rechte und Pflichten haben wie Männer.
Was inspiriert dich?
Nichts Bestimmtes. Ich finde einfach, wenn man was zu sagen hat, dann muss man das tun.
Für mich ist Kommunikation wichtig.
Hast du schon ein neues Projekt?
Ich denke noch darüber nach, einen Podcast über Pilze zu machen; diese Lebewesen faszinieren mich sehr. Ich würde gern mit Wissenschaftlern sprechen und mit Menschen, die Pilze anbauen.
Bist du ein politischer Mensch?
Ich finde, alles was wir tun, ist politisch; meine eigene Freiheit ist von Politik abhängig. Wenn ich nicht politisch bin, lasse ich über mich bestimmen. Für mich ist das Schlimmste im Moment, dass die Populisten es geschafft haben, die Leute soweit zu bringen, dass sie den Ärmsten der Armen den Schwarzen Peter zuschieben. Jeder sollte die gleichen Chancen haben. Ressourcen sollten gerechter verteilt werden. Aber meine Prognose ist katastrophal; wir stehen vor dem Abgrund; mir macht der Rechtsruck richtig Angst, vor allem als Mensch, der anders ist. Wenn’s kommt, dann geht es schnell. Es stehen zwar Schwule und Lesben gerade nicht im Visier der Hardliner, aber ich kann das für die Zukunft nicht ausschließen. [S.A.]